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Teamgefühl in Zeiten der Corona-Distanz? Die 5 ½ Geheimnisse guter Arbeitsbeziehungen – wissenschaftlich erforscht

Dr.  Markus Ebner ,  MSc.

Dr.  Markus Ebner ,  MSc.

Organisationspsychologie
Begründer des PERMA-Lead Modells

Bereits Aristoteles behauptete „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“ – und bezog sich damit auch auf die Menschen in Teams. Scheinbar hatte er das Glück, ausschließlich von förderlichen Menschen umgeben zu sein. Denn sonst hätte er erlebt, dass das nicht immer zutrifft.

In Arbeitsteams, in denen Misstrauen und generell ein schlechtes Klima vorherrscht, kann es nämlich durchaus auch sein, dass sich Menschen im Team gegenseitig behindern und im Weg stehen. Und dann ist das Ganze eben sogar weniger als die Summe seiner Teile. In einer guten Teamatmosphäre hingegen profitieren die Teammitglieder voneinander: Viele Führungskräfte, die in ihren Teams schon immer Wert legen auf gute Arbeitsbeziehungen, berichten mir in Coachings, dass sie besonders jetzt davon profitieren. Die Teammitglieder entwickeln proaktiv Ideen, wie sie trotz der verordneten physischen Distanz die soziale Nähe erhalten können.  Bereits in meinem letzten Blog (https://cutt.ly/ZyimcE7) habe ich darüber geschrieben, welche messbaren positiven, aber auch negativen Auswirkungen Beziehungen im Team haben können.  Dieser Blogbeitrag widmet sich nun den folgenden Fragen: Was sind die relevanten Zutaten für gute Arbeitsbeziehungen? Was ist das Geheimnis von guten Beziehungen im Team, und was kann jeder Einzelne dazu beitragen?

Diese Fragen wurden bereits von einer Menge an unterschiedlichen Studien untersucht, allerdings eher in Bezug auf romantische Beziehungen, Partnerschaften oder Freundschaften. Diese Studien definieren positive Beziehungen in der Regel mit einer für alle Beteiligten zufriedenstellenden Beziehung.

Das ist meiner Ansicht nach für Arbeitsbeziehungen jedoch nicht ausreichend, da im Arbeitskontext zudem der Faktor „Output“ hinzukommt. So ist es in dieser Logik keine arbeitsförderliche Beziehung, wenn zwar alle Mitarbeiter/innen im Team die besten Freunde sind, wenn die Leistung dieser Abteilung dabei unterdurchschnittlich ist.

Bedingt durch den Fokus der Positiven Psychologie auf die Relevanz von Beziehungen, gewann gerade in den letzten Jahren das Thema „Positive Beziehungen im Arbeitsumfeld“ an Aufmerksamkeit. Einige Forschungsarbeiten konnten dabei identifizieren, welche konkreten „Zutaten“ in positiven Arbeitsbeziehungen direkt mit Faktoren wie Leistung, Fluktuation, uvm. verknüpft sind. Und einige Forschungsprojekte haben auch mein Team und ich dazu durchgeführt.

1. Kontrolle ist gut – Vertrauen ist besser

In den letzten Jahrzehnten hat die Bedeutung von Vertrauen in der organisationspsychologischen Forschung einen breiten Raum eingenommen. Sowohl ältere Forschungsarbeiten aus den 1960er-Jahren als auch aktuelle Studien zeigen, dass Vertrauen eine unverzichtbare Voraussetzung für förderliche Arbeitsbeziehungen ist und eine Menge an Benefits sowohl für die Organisation als auch für die einzelnen Mitarbeiter/innen mit sich bringt.

Beispielsweise werden die Arbeitseinstellung, das Arbeitsverhalten (beispielsweise kooperatives Verhalten) und die Leistung durch vertrauensvolle Arbeitsbeziehungen positiv beeinflusst. Diese positive Wirkung dürfte darauf beruhen, dass ein höheres Maß an Vertrauen die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass man als Mitarbeiter/in das Risiko eingeht, sowohl negative als auch positive Informationen und Erfahrungen zu teilen.

Andere Studien zeigen nämlich, dass genau dieses Verhalten in Arbeitsgruppen nachweislich zu einer höheren Leistung dieser Gruppe führt. Gerade in dieser Zeit, in der viele Menschen Ihre Arbeit im Home-Office erledigen, macht es sich bezahlt, wenn bereits vorher eine vertrauensvolle Arbeitsbeziehung aufgebaut wurde.

Ob Ihre Arbeitsbeziehung zu einer bestimmten Person vertrauensvoll ist, können Sie übrigens anhand von zwei einfachen Fragen feststellen:

  1. Wie werden vergangene oder gegenwärtige Verhaltensweisen der anderen Person interpretiert?

  2. Welche zukünftigen Verhaltensweisen erwarten Sie sich am ehesten von dieser Person?

2. Gute Arbeitsbeziehungen brauchen gemeinsame Zeit

Ist es bereits eine förderliche Arbeitsbeziehung, wenn sich jemand nach einer Woche in einem neuen Team sehr gut mit den anderen versteht? Auf eine gewisse Weise sicher, aber stabile Beziehungen brauchen auch einen gemeinsamen Erfahrungsschatz. Das wird auch durch die Forschung bestätigt. Besonders für virtuelle Teams, die auch nach der Coronakrise sicherlich eine häufige Form der Teamarbeit bleiben werden, braucht es konkrete Maßnahmen, die ein Gemeinschaftsgefühl vermitteln.

Das ist auch der Grund, warum es bei diesen Gruppen weitaus länger dauert, bis sie sich als Team empfinden. Sobald aus einer Ansammlung von Personen ein Team wird, steigt die Anzahl der Kontakte zwischen den wahrgenommenen Teammitgliedern signifikant an – im Vergleich zu jenen, die nicht als Teammitglieder wahrgenommen werden. Gemeinsam verbrachte Zeit, sei es nun bei Arbeitsprojekten oder beispielsweise gemeinsamen geplanten Kaffee- oder Mittagpausen, in denen man über eine Videokonferenz entspannte Small-Talk-Gespräche ohne bestimmte Agenda führt, sind nicht nur eine lustige Spielerei, sondern essenziell dafür, dass sich die Menschen als Teil eines Teams erleben.

Es macht aber auch Sinn, Arbeitsprojekte, die Mitarbeiter/Innen unter normalen Umständen alleine machen würden, nun vermehrt gemeinsam zu bearbeiten. Teamkontakt, der in einer normalen Situation oft recht einfach durch gemeinsam verbrachte Zeit am Arbeitsplatz entsteht, kann nämlich durch den (Online-)Kontakt durch gemeinsame Projekte zumindest ein wenig ausgeglichen werden.

3. Gemeinsame Ziele und Rollenklarheit sind wichtig

Von einem guten Team wird erwartet, dass alle an einem Strang ziehen. Die Richtung, in die gezogen werden soll, muss durch ein gemeinsames Ziel definiert sein. Die Forschung zeigt, dass die Klarheit in Bezug auf ein Teamziel und die Klarheit in Bezug auf die Rolle, die jedes Teammitglied bei dieser Zielerreichung einnimmt, wesentliche Bestandteile für die Leistung sind. So banal dieser Aspekt klingt, so bedeutsam ist er in der Praxis. Ich meine damit, dass es zwar in Teams im Normalfall gemeinsame offizielle Ziele gibt, sich diese aber nicht immer mit individuellen persönlichen Zielen der einzelnen Teammitglieder decken müssen. In Einzelcoachings ist es nicht ungewöhnlich, dass persönliche Ziele zur Sprache kommen, die Handlungen und Entscheidungen in der Teamarbeit beeinflussen, aber nichts mit dem Verfolgen des offiziellen Ziels zu tun haben.

Solche individuellen Ziele können beispielsweise sein, möglichst viel Neues zu lernen, um sich bald selbstständig zu machen, möglichst rasch die Karriereleiter hinaufzuklettern, so wenig wie möglich am Schreibtisch sitzen zu müssen, keine Verantwortung übernehmen zu müssen, der Kollegin X eins auszuwischen oder möglichst oft mit dem Kollegen Y Zeit zu verbringen. Ein Sprichwort sagt: „Wo Menschen sind, menschelt es.“

Gerade in Krisenzeiten, übrigens unabhängig davon ob es sich um globale oder rein persönliche Krisen handelt, können sich die individuellen Ziele von Menschen gravierend verändern. Letztendlich ist es die Aufgabe einer guten Führungskraft, dafür Sorge zu tragen, dass individuelle Ziele einzelner Teammitglieder, die durchaus nachvollziehbar sind, das Teamziel nicht konterkarieren.

4. Normen und Wertvorstellungen müssen verlässlich sein

Menschen, die zusammenleben, egal ob in einem Staat, einer Familie oder eben in einem Team, entwickeln gemeinsame Normen. Richtlinien, an denen man sich orientieren kann und die auch erwartet werden. Letztendlich sind die Normen in einem Team das, was unter Teamkultur verstanden wird. Normen haben für das Funktionieren von Gruppen zahlreiche Funktionen: Sie dienen der Orientierung, sie helfen aus der großen Anzahl möglicher Verhaltensweisen die passende auszuwählen, sie geben dadurch Stabilität, dass man in bestimmten Situationen auf ein bestimmtes Verhalten der anderen Teammitglieder vertrauen kann, und sie ermöglichen eine Prognose, wie zukünftiges Verhalten eingeschätzt werden kann. In Organisationen werden diese Normen oft durch Leitbilder definiert. Diese machen allerdings nur dann Sinn, wenn sich die Mitglieder einer Organisation damit identifizieren und wenn für die oft sehr allgemein formulierten Regeln („Wir pflegen einen wertschätzenden Umgang“) klare Beispiele gegeben werden, was damit konkret gemeint ist.

Überlegen Sie selbst: Welche Regeln könnte man für einen wertschätzenden Umgang in dieser herausfordernden Zeit z.B. in Online-Besprechungen verbindlich definieren? Damit meine ich nicht nur die klassischen Regeln, wie das Ein- oder Ausschalten der Mikrofone, sondern auch Ideen, welche Regeln gelten könnten, damit sich alle Teilnehmenden ausreichend einbringen können. Welchen Stellenwert hat dabei die Vorbereitung der Teilnehmenden, welchen die Qualität der Moderation?

Meine Einschätzung ist, dass es in vielen Unternehmen funktionale, aber auch moralisch zweifelhafte unausgesprochene Normen gibt, sowie unsichtbare Leitbilder, die einen weitaus größeren Einfluss auf das Verhalten der Mitarbeiter haben als jene, die in allen Abteilungen aufgehängt werden.

Aber selbst nichtoffizielle Leitbilder haben – wenn sie von allen gelebt werden – alle vorhin genannten Funktionen von Normen. Professionell geleitete Teamentwicklungsprozesse können dabei unterstützen, gemeinsame und verbindliche Normen festzulegen – und somit die Arbeit für alle Teammitglieder zu verbessern.

5. Wissen und Informationen werden bereitwillig geteilt.

Ein großer Vorteil von guten Teams ist, dass mehrere Hirne gleichzeitig genutzt werden können. Der Erfolg hängt jedoch davon ab, wie stark das Vertrauen innerhalb des Teams ist. Wissen und Informationen sind ein gewaltiges Kapital, das in vielen Situationen einen Vorsprung bringt. Es würde daher für eine/n Mitarbeiter/in strategisch sehr ungünstig sein, in einer Misstrauenskultur dieses Kapital aufzugeben. Ein Wissen, das alle haben, verliert seine Einzigartigkeit und somit seinen Wert. Nicht umsonst werden in der Organisationspsychologie unter verschiedenen Möglichkeiten, soziale Systeme zu beeinflussen, „Informationsmacht“ und „Expertenmacht“ angeführt.

Wenn sich Rahmenbedingungen plötzlich ändern, so wie wir das derzeit gerade erleben, verschieben sich auch die Wertigkeiten von unterschiedlichen Kompetenzen. Wenn es beispielweise vorher eine wertvolle Kompetenz war, vor großen Gruppen selbstsichere Reden halten zu können, ist es derzeit möglicherweise ein weitaus größerer Vorteil zu wissen, welche unterschiedlichen Funktionen die verschiedenen Online-Tools bieten können. Kurzum: Wissen bzw. Kompetenzen, die einen hohen Marktwert hatten, verliert massiv an Wert, während der „Aktienkurs“ von vorher wenig relevantem Wissen massiv in die Höhe schnellt.

Ob und wie proaktiv Wissen, welches plötzlich relevant geworden ist, mit anderen Teammitgliedern geteilt wird, hängt sicher zu einem großen Teil von der bisher aufgebauten Vertrauenskultur und dem bisherigen Stellenwert gegenseitiger Unterstützung ab.

Organisationen, die bereits länger Systeme eines wechselseitigen Wissenstransfer auf gleicher Augenhöhe eingeführt haben, profitieren jetzt davon, weil gegenseitige Unterstützung bereits ein Teil der Organisationskultur ist. So ist in Unternehmen, die Reverse-Mentoring-Programme (bei denen in der Regel jüngere Mitarbeiter/innen ältere Kolleg/innen in Online- und anderen IT Fragen unterstützen) als Teil ihrer Personalentwicklung bereits etabliert haben, die Logik des „Voneinander Lernens“ bereits Teil der Normalität geworden.

Eine großangelegte Metastudie, die insgesamt 72 verschiedene Studien einschloss, zeigt übrigens eindeutig, dass die Bereitschaft, Informationen zu teilen, eine wesentliche Komponente von erfolgreichen Teams ist.

6. Ähnlich oder Unterschiedlich? Das Fragezeichen bleibt.

Diversity ist in den letzten Jahren zu einem hochbejubelten Fachterminus in Organisationen geworden und man hat beinahe den Eindruck, dass jeder Unterschied zwischen Teammitgliedern, egal ob Geschlecht, Alter, Ausbildung, sexuelle Orientierung, Religion oder Herkunft, bereits eine tolle Ressource ist, die genützt werden will. Ob es allerdings förderlicher ist, wenn Teammitglieder sich in Bezug auf verschiedene Aspekte ähnlich sind, oder ob es besser ist, wenn die Teammitglieder möglichst heterogen sind, ist wissenschaftlich nicht mit einem klaren Ja oder Nein zu beantworten.

Die Forschung kommt nämlich zu unterschiedlichen Ergebnissen. Von gut über neutral bis schlecht. Gibt man beispielsweise Teammitgliedern die Möglichkeit, sich selbst auszusuchen, mit wem sie zusammenarbeiten wollen, dann suchen sie sich tendenziell jene Kolleginnen oder Kollegen aus, die ihnen selbst am Ähnlichsten sind. Mischt man aber beispielsweise Teammitglieder, die sich in Bezug auf Expertise und Erfahrung unterscheiden, fördert das Kreativität, Innovation und die Kompetenz, Probleme zu lösen, und führt somit zu überlegenen Leistungen im Vergleich zu diesbezüglich homogenen Teams. In Arbeitsfeldern, bei denen berufliche Netzwerke erfolgsrelevant sind, haben heterogene Teams einen messbaren Vorteil: Gemeinsam profitieren sie von einem weitaus größeren Netzwerk, als das in homogenen Teams der Fall ist.

Dass heterogene Teams aber nicht immer ein Vorteil sein müssen, zeigt eine Studie mit Fabrikarbeiter/innen. Teams, in denen die ethnische Vielfalt größer war, zeigten eine schlechtere Leistung als jene, in denen sich die einzelnen Teammitglieder diesbezüglich ähnlich waren. Zusätzlich entsteht in heterogenen Gruppen weniger leicht ein Zusammengehörigkeitsgefühl, was sich ungünstig auf die Zufriedenheit der einzelnen Teammitglieder auswirkt.

Ob homogene oder heterogene Teamzusammenstellungen für förderliche Teambeziehungen besser sind, lässt sich somit aufgrund der Vielfalt der möglichen Unterschiede nicht eindeutig beantworten. Die Frage ist nämlich: welche Ähnlichkeiten (Erfahrung, demografische Merkmale, Wertesystem, Persönlichkeitseigenschaften …), in welchem Kontext und besser wofür?

Über den/die Autor*in

Dr. Markus Ebner, MSc.

Organisationspsychologie
Begründer des PERMA-Lead Modells

Er unterrichtet an mehreren Universitäten und Fachhochschulen den Schwerpunkt Führung, hat in diesem Bereich zahlreiche Bücher und Publikationen verfasst und verfügt über Zusatzausbildungen in Coaching, Supervision, Krisenintervention, Sozialpädagogik sowie Organisations- und Teamentwicklung. Neben seiner mehr als 20-jährigen Tätigkeit als Trainer, Coach und Berater ist er der Begründer des PERMA-Lead Modells und als einer der namhaften europäischen Experten für Positive Leadership im Board of Directors des Österreichischen Dachverbands für Positive Psychologie. 2021 wurde er für seine Arbeit vom Weltdachverband für Positive Psychologie (IPPA) mit dem „Exemplary Research to Practice Award“ ausgezeichnet.